20.03.2013 Erfurt Heiligenmühle

In der Heiligen Mühle spielen wir jedes Jahr genau einmal. Wenn nicht irgendwas schiefgeht. Dazu später mehr.
Diesmal hats geklappt, und es ist unsere zweite Mugge mit dem neuen Mann am Schlagzeug – Robin. Im Gegensatz zum Friseur ohne Hut. Robin without Hood, sagt man in Englisch. Letzte Woche Arnstadt war die Generalprobe im vertrauten Rahmen bei Udo, heute ist dann Ernst.

Heute auch mit eigener Beschallung und Licht. Dementsprechend müssen wir mit unserer alten Transporter-Schüttel fahren, und die ganze übelst schwere Scheise mitnehmen. Vom Ton her können wir die Anlage leicht für die Mühle anpassen. Wir lassen einfach die Hälfte der Bässe weg. Beim Licht können wir aber nicht mit ein bis zwei 6 x 64er Bars aufschlagen. Also schrauben wir ein paar „Kannen“ von unseren Traversen ab (die sind ganz gemein verschraubt mit solchen selbstklebenden Muttern) und packen ein paar Lichtfolien ein. Lustig für den Laien vielleicht – der schnodderige Musikus bezeichnet die Halogenstrahler als „Kannen“. Lustig für den Profi vielleicht – eine leicht angebimmelte Proberaumnachbarin hat wirklich mal gedacht, das wären Milchkannen. (hrmpf hihihi)

Nach vielen Jahren Verfahrerei finden wir inzwischen endlich sicher und zielgerichtet die sehr versteckt versteckte Heiligen Mühle. Zuerst noch der Schreck bei der Einfahrt nach Erfurt – Umweltzonenschilder. Unser Transporter – naja, wer ihn kennt weiß, der würde höchstens eine schwarze Plakette bekommen. Wir fahren trotzdem rein, was sollnwern machen. Wieder heim kömmer nich. Von Jürgen (das ist der Veranstalter) erfahren wir dann, daß die Heiligen Mühle nun wieder außerhalb der Umweltzone liegt. Wir haben die Zone also nur gestreift. Ich hoffe es ist ihr nichts passiert und niemand musste husten.
Jürgen ist einer der vorbildlichsten Veranstalter, die wir kennen. Bei Ankunft fällt nämlich zuerst auf, daß auf der Bühne ein Kasten Bier sehr auf uns wartet. Jürgen berichtet, daß wir den neuen „Vorbestellungsrekord“ aufgestellt haben. Die Kneipe hat etwa 60 Plätze, und 77 Leute haben vorbestellt. Es ist also aufgestuhlt worden und wer ohne Vorbestellung kommt, muss fast schon draußen bleiben.
Aufbau klappt reibungslos. Jochens Kumpel Uwe ist heute mal mitgekommen und greift tatkräftig zu. Der weiß tatsächlich, was wann wo hin muss, was wie geräumt und aufgebaut wird, was wann wieder weg kann. Dabei ist er noch nicht ein einziges mal mitgewesen. Da hat er Jochen EINIGES voraus. Jochen war bisher IMMER mit.
Der Soundcheck hat eine kleine Schwierigkeit. Des Fs Spezial-App zur Erkennung der Quietschfrequenzen ist in seinem Smartphone. Und das hat er letzte Woche in Arnstadt mit Bier gegossen. War bestimmt gut gemeint. Aber es ist wohl immer noch besoffen und macht nicht mit. Wir quietschen also manuell. Der Jürgen-Veranstalter rümpft beim Soundcheck extrem die Nase – wir sind VIEL zu laut. Also müssen wir bis an die absolute Untergrenze unserer Leistungsfähigkeit runterfahren. Gespannt wie das klingen soll. Dann ist es 19 Uhr und Einlassbeginn.
Irgendwann fragt Jürgen, ob wir eigentlich die Mühle schon mal gesehen hätten. Ich weiß erst nicht wie er das meint, aber dann zeigt er sie uns. Zuerst wird der Bach ein wenig angestaut. Dann werden die Schleusen geöffnet und das vorbereitete Wasser strömt unter die beiden großen unterschlächtigen Wasserräder. Jürgen ist ganz verdutzt, daß ich solche Fachbegriffe kenne, ohne Zugriff auf Internet und Wikipedia. (Ich meine „unterschlächtig“, nicht „Wasser“.) Mein Gehirn speichert manchmal extrem komische Sachen ab. Aber mit AC/DC-Texten hat es so seine Probleme.
Nachdem das Wasser strömt, setzt sich eigentlich das ganze Haus in Bewegung. Wir gehen rein. Alles ist voller Wellen, Riesenzahnräder, Riementriebe, Mahlsteine. Es sieht aus wie im Märchen. Und alles funktioniert.
Wir lernen auch, daß hier nicht etwa früher Heilige gemahlen wurden – was ich immer dachte, sondern dass der Name von einem Vorbesitzer kommt, der Heiligen hieß. Hier wurden stattdessen aus Gerste Perlgraupen hergestellt. Jeder darf mal ein Gerstenkorn in die Maschine schmeißen und dann seine eigene Perlgraupe mit nach Hause nehmen für die Suppe.
20:30 Uhr, Ende der Mühlenbesichtigung, wir wollen anfangen. Und oh Schreck – die Mühlenkneipe ist gebrochen voll! Und draußen der Biergarten auch. Wir waren zwei Jahre nicht hier. Das kömmer so NICH mehr machen. Vor zwei Jahren hatte Jürgen gleich nach der Mugge mir den Termin für 2012 benannt, was ich natürlich vergessen habe. Ich bestehe sowieso immer darauf, bei Muggen nichts mit mir auszumachen. Sondern mich hinterher im Normalzustand anzurufen. Also konnten wir 2012 aus Versehen nicht, und der Jürgen musste eine andere AC/DC-Band aus dem Westen buchen. Die waren bestimmt total gut und hatten richtig geübt. Mit West-Instrumenten und so. Daß er uns dann für 2013 trotzdem wieder bestellt hat, ist wohl auf unseren Ost-Bonus zurückzuführen. Wir halten eben doch zusammen.
Aber genug der Vorrede – kurze Anmerkungen zur Musik. Die zweite Mugge mit Robin am Schlagzeug. Und das haut voll hin. Robin hat in den vergangenen Monaten bis heute 34 Songs aus unserem Programm gelernt, die wir auch alle spielen. Robin ist zwar jünger als des Friseurs Sohn (oh das ist übers Ziel hinaus geschätz, aber nicht sehr). Aber Robins Schlagzeugspiel, und – ähm – seine unbekümmerte und frische Sicht, die Welt zu betrachten, seine unschuldige Naivität, diese manchmal noch leicht tolpatschige Art, dieses schier nach Führung der Älteren gierende, noch ungeformte Talent, dieser frische, aber noch völlig ziellose Keim eines schon bald ins enge Korsett des Crayfish-Schlagzeugers gezwängten Widerporstes, den wir zu zähmen wissen werden, wirst mal sehen, und wenn nicht gibt’s aufs Maul.
Das wars zur Musik.
Naja vielleicht nicht ganz. Es bleibt noch zu bemerken, dass man – also Band und Publikum – sich fast eher nach den Pausen sehnt, weil die Bude kocht und der Schweiß von der Wand läuft. So empfindet man das zumindest auf dem Laminat, das die Welt bedeutet. In den Pausen kann man mal raus und Sauerstoff schnappen. Es sind wohl über 200 Leute da (GEMA Zahl 70, Finanzamt-Zahl 72, Wahrheit 250). Die eigentliche Kapazität des Mühlchens hatte ich weiter oben schon erwähnt. Selbst Robins Eltern sind gekommen, um zu überprüfen, womit sich ihr Kind ab jetzt so herumtreibt. Würde ich genauso machen mit meinen Kindern. Robins Vater gibt uns eine Runde Bier aus, gerade, als wir am Vertrocknen sind. Wir sind übrigens immer gerade am Vertrocknen. Er ist also offensichtlich mit der Gesellschaft seines Sohnes einverstanden, die diesen in Zukunft prägen wird.
Nach Beendigung des Konzertes spaltet sich das Team wie gewohnt auf in die, die abbauen, und die, die versuchen die Gage zu kassieren. Das Letzte bin ich. Ich suche Jürgen, finde Jürgen, und wir arbeiten uns beide in Richtung Bürokomplex vor. Jürgen schließt umständlich auf und meint beiläufig – „Das wird ein Spaß. Hat Käptn Kirk gesagt.“ Daß ich dann auch noch da drauf anspringe und das begeistert als Zitat aus Star Trek 7 Treffen der Generationen erkenne, verunsichert Jürgen genauso wie das unterschlächtige Wasserrad. Ich hoffe, ich stelle mich selbst hier nicht im gar zu hellen Licht der Erleuchtung dar, kommt mir grad so vor. Ich kenne also Star Trek 7 und unterschlächtige Wasserräder. Danach wird’s dünne. Im Bürokomplex (in den wir zu zweit gerade gut reinpassen) erklärt mir Jürgen nach endlosen Star Trek hin-und-her-Fachsimpeleien, daß wir Star Trek Fans uns ja oftmals unserer Passion schämen, weil wir immer belächelt werden. Was stimmt. Warum nur. Aber das macht nichts. Selbst der F zum Beispiel (hihi ich weiß gar nicht ob ich das verraten darf), also der F, also wer ein neueres dickes Modell Mercedes kauft könnte Glück haben, falls die dortige Entwicklungsabteilung beim Zentraldisplay (Dual View, meine Güte!) nicht nachsäubert, dann erwischt er dort einen schönen Star-Trek-Gruß von F und von T’Pol. Leckerschmatz.

Der Abbau klappt bestimmt reibungslos, weil alles fast fertsch ist als ich aus dem Bürokomplex zurückkehre.Bleibt nur noch der Escape aus der Umweltzone und die Heimkehr. Verschwitzt, müffelnd, hungrig (je Person nur eine Bockwurst für einen Abend Rock’n’Roll), aber glücklich. So kömmer das noch 20 Jahre weitermachen.