03.07.2010 Aschersleben, BF Black Raven

Juhu, Aschersleben. So wie ich das überblicke hab ich noch gar kein Tagebuch über Aschersleben geschrieben? Aber ich überblicke manchmal nicht so gut. Wenns stimmt wäre das ja ein Frevel. Aschersleben ist immer so schön.

Beim Black Raven sind wir laut Konzertplan erst zum zweiten Mal? Kann das sein? Kommt mir schon öfter vor? F? (ääähm, ja, na, also, ja. – Anm. vom F) Zur Veranstaltung führt eine verschlungene Strecke durch die Stadt, bis man irgendwann im Neubaugebiet seines Verlangens ankommt. Zwischen den Stadt-Rand-Blocks (bewohnt!) ist das Bikerfest aufgebaut. Wenn man da so ankommt und die Open-Air-Bühne zwischen den nicht-mehr-ganz-so-Neubauten stehen und lärmen sieht, fragt man sich über die Struktur der Nachbarn. Ob es eine Rolle spielt, daß maßgebliche Person(en) des Bikervereins und maßgebliche Person(en) der örtlichen Polizei personenidentisch sind? Oh oh ich hoffe ich red mich hier nicht um Kopf und Kragen. Nee nee man löst das hier ganz diplomatisch. Alle Anwohner werden eingeladen und erhalten freien Eintritt. Und die, die wir gesehen haben, haben sich darüber gefreut und sind gerne auf ein Sommerfest vor der Haustür gegangen. Im „Media“-Bereich (auf unserer Homepage, nicht im Wohngebiet – Anm. vom Webmaster) könnt ihr Luftbilder vom Gelände sehen.
Bei unserer Ankunft spielt schon eine Band schönen Rock’n’Roll, das Gelände ist locker gefüllt, Bier fließt und Rost brennt, man freut sich über unsere Ankunft obwohl wir hier schon mal gespielt haben, was willste mehr? Bei der In-Augenschein-Nahme der Bühnensituation fällt sofort ein großer Kran auf, der neben der Bühne steht. Da dran hängt eine kleine Gondel, in die Lustwillige einsteigen können, um das Szenario von ganz oben zu betrachten. Der Kran hebt die besetzte Gondel – äh ich sag mal – irgendwas zwischen 25 und 50 m hoch, bin im Höhe-Schätzen scheise und weiß nich mehr. Jedenfalls sehr hoch. Wenn die Gondel oben ist und die Insassen ein Zeichen geben öffnet sich der Boden der Kanzel und entleert dieselbe. Die Gondel fährt nach unten, um die nächsten Mitfahrer aufzunehmen. Ein Biker wischt die Sauerei auf. Die letzten drei Sätze waren geflunkert. Der Kranführer aber überredet mich zu einem waghalsigen Stunt.
Wir planen den Beginn der Crayfish-Show ganz genau, alle Details müssen stimmen, nichts darf schiefgehen. So sieht der Ablauf aus: Die Jungs gehen im Nebel auf die Bühne. Es muss ein mysteriöser Nebel sein. Nicht so einer wie von einem kaputten Auto, eher so, wie er aus verwunschenen Wiesen-Auen im Morgengrauen aufsteigt. Mit tausendfach geprobter Anmut setzt der F seinen Fuß auf den Taster des Samplers und ruft unser synthetisches Publikum ab, das lautstark nach uns verlangt (obwohl man das nicht genau versteht, es könnte auch MAOAM, MAOAM heißen oder so). Währenddessen beginnt für mich im Hintergrund der kritische und gefährliche Teil. Der Kranführer hat vorher bereits die Gondel vor dem nun dunklen Nachthimmel und hinter der Bühne, also genau zwischen Bühnenrückwandabschluss und Himmelsbeginn, platziert. Ich schließe innerlich mit meinem bescheidenen Leben ab und steige in die Gondel. Die übrigens keine Tür hat. Man muss irgendwie so durchklettern. Während vorn die Jungs ihr Feuerwerk aus Nebel, synthetischem Publikum und stoischer Präsenz abfeuern, hebt sich hinter der Bühne – für niemanden sichtbar – die Gondel mit mir langsam nach oben. Die Spannung vor der Bühne steigert sich ins Unermessliche. Plötzlich durchbricht die Gondel mit dem Helden, heroisch in Lederhose gekleidet, ein T-Shirt umflattert den schmächtigen Körper, ja er ist es!, der Sänger!, durchbricht sie – die Sichtgrenze des Publikums, und taucht – wie aus dem Nichts – AUF! Hinter der Bühne!! Man stelle sich das vor!!!
Die Dramatik erreicht ihren Höhepunkt, als die Gondel die Bühen überfliegt und sich langsam davor absenkt! Ich beginne die ersten Zeilen von „Hell Ain’t A bad Place To Be“ aus der Kanzel heraus auf das vor Begeisterung bestimmt sabbernde Publikum herab zu singen. Leider sehe ich nichts vom Sabber, weil ein 70.000 Watt-Scheinwerfer, der links neben der Bühne auf dem Boden (auf eine Raketenabschussrampe auf Schienen montiert) ist, als sogenannter Verfolger arbeitet und den Sänger (in dem Fall mich) immer anstrahlt. Augen und Geist sind von dieser übrirdischen Helligkeit derart geblendet, daß sie nur noch im Standby-Modus funktionieren. Die Kanzel nähert sich dem Boden, das Publikum dem Siedepunkt, ich mich der dritten Textzeile. Die Jungs auf der Bühne zucken in Ekstase. In den Augen des Publikums beträgt mein Coolness-Punktestand inzwischen 5.000 Punkte! Der Kranführer will die Gondel absetzen (wie vorher klammheimlich zwischen uns vereinbart). Er ist jedoch vom 70.000 Watt-Scheinwerfer ebenso geblendet wie ich. Er trifft nicht den blanken Erdboden, sondern erwischt mit einer Ecke der Gondel den Catwalk vor der Bühne. Die Gondel hängt fest. Von alledem merke ich in der Gondel nichts. Um mich herum ist nur eine Art weißes Plasma, keine Welt mehr, von dem 70.000 Watt Scheinwerfer. Ich beschließe, später in meinem Ausweis nachzusehen, wie ich heiße, singe mittlerweile die vierte Zeile, und versuche – dem Plan entsprechend – aus der Gondel auszusteigen. Wie erwähnt gibt es keine Tür. Man zwängt sich zwischen dem Geländer durch. Aber – oweh – mein Fuß greift ins Leere! Mein ganz weit hinten hinter dem Plasma immer noch wacher Geist beginnt die Situation zu erfassen. Da ist kein Boden, wo welcher sein sollte! Der Catwalk ist naturgemäß weiter oben, also ! Fuß! Versuch den zu erwischen! Mit dem großen Zeh erfühle ich den rettenden Catwalk. Doch nur kurz. Dann entgleist die Situation. Der mysteriöse Nebel steigt noch. Die Band zuckt ekstatisch, doch stoisch. Der Kranführer zeigt ein Grinsen, das den schlummernden, doch erwachenden Wahnsinn erahnen lässt. Mein Fuß bzw. Zeh rutscht ab und driftet ins Leere, ins absolute Nichts. Während die Band ein höllisches Inferno aus rockenden Gitarren, auch Bass, und Schlagzeug entfacht, fällt mein Fuß in die endlose Leere. Er zieht mein Bein mit. Nach einer Weile beginnt mein hinter der Plasma-Wand gefangener Geist zu verstehen – er zieht auch meine Hüfte mit! Er zieht noch weiter, aber viel kommt nicht mehr. Das alles purzelt zwischen den Geländerstäben der Gondel auf Ascherslebens Boden neben dem Catwalk, während ich die sechste Zeile singe. Diese gelingt vor Lachen nicht ganz so gut.
Nachdem ich dem Fokus des Plasma-Werfers entkommen bin, entdecke ich auf einmal die Welt um mich ganz neu. Da ist der Catwalk! Mit einem kräftigen Schwung meines halben Unterarms gleite ich hinauf. Ich kann allerdings die Dinge, die geschehen sind, nicht mehr ungeschehen machen. Mein Coolness-Punkte-Stand beim Publikum ist aktuell bei überraschenden minus 20.
Die mysteriösen Nebel erschweren etwas die Orientierung auf der Bühne, aber mein wiedererwachter Instinkt führt mich mit tödlicher Sicherheit in die Mitte zwischen die lärmenden Crayfishe.
Ab da ist alles wie immer. Wir spielen Rock’n’Roll, es macht zuerst uns, dann nach kurzer Zeit auch dem Publikum tierisch Spaß. Auf dem Catwalk sammelt sich der Biker-Nachwuchs und holt sich eine Lektion in Schweiß und Mief. Und nach zweieinhalb Stunden fahren wir geschafft aber glücklich in die Nacht. So solls ja auch sein. Bis nächstes Jahr! Dankeschön!