Laucha. Dickste Erinnerungen. Der Transporter auf der Kante des Grabens. Die Haare an der Decke festgehängt. Die Bürgermeisterin.* Wie ich rückblickend sehe…
…habe ich das leider alles gar nicht hier dokumentiert. Dabei gehört das Domizil des MF Nippon Speed zu unseren ältesten Auftrittsorten. Heute dazu ein Tagebuch.
Zum Aufladen kommen heute Stochen und Jeffen hinzu, was sehr freundlich ist. Denn Robin ist nicht da. Robin hat uns noch ne Denke-Dran-Liste geschickt für die Schlagzeugsachen. Den in Friedrichroda durchnässten Schlagzeugteppich hab ich über die Woche bei mir in der Bude getrocknet und vorkonfektioniert eingewickelt. Wir sollten alles haben – Abfahrt.
Ich düse mit dem F, die Schönes düsen im Beautymobil. Und aus der entgegengesetzten Himmelsrichtung düst Robin. Im Vorfeld ging noch die Frage rum nach einer genauen Zieladresse fürs Navi. Ich konnte das nicht beantworten, obwohl wir da schon dreimal gespielt haben. Aber da gabs noch kein Internet. Ich versuchs mit Google. Aber wenn man da MF Nippon Speed Laucha sucht, findet man nur dämliche alte Crayfish Fotos. Ich versuchs mit Google Maps und Satellittenbild. Ich versuche mich zu erinnern. Es klappt nicht. Ich finde die Gartensiedlung und den Graben nicht wieder, den ich vor 15 (?) Jahren mit dem F versehentlich fand. Das wäre so ein Anhaltspunkt gewesen. Ich bitte also alle Beteiligten einfach hinzufahren. Es ist ein kleines Nest. Und man sieht mal wieder, wie lange wir nicht auf einer Bikerparty gespielt haben, dass wir uns um sowas Gedanken machen… Dazu später.
Aber warum düst Robin umgekehrt? Robin wohnt seit Donnerstag auf dem Rock Harz Open Air. Jaja. Und extra für die Mugge bricht er die Haupt- und Headlinerkonzerte am Sonnabend ab, verpasst Amon Amarth und Carcass. Aber noch viel mehr. Während seine Freunde in der sengenden Hitze feiern bricht er in derselben seinen Wohnsitz ab und rüstet für die Abfahrt. Er stellt seine Ernährung um von Festivaleinfuhr auf Fahrbetrieb (Bier und Schnaps versus Wasser). Und er verlässt das Festivalgelände, fährt weg von all seinen Freunden zu all seinen Crayfish-Kollegen. Und das als obs ganz selbstverständlich wäre. Das ist Aufopferung. Das ist Teamgeist. Das ist Muggenwille.
Ich war mal in einer Band, da hat einer abgesagt weil die Oma Geburtstag hatte und er da zum Kaffeetrinken wollte. Es gibt halt verschiedene Extreme.
Wie der F und ich mit dem Transporter so gen Laucha steuern, von der Autobahn runter, da fällts uns in die Augen und auch endlich wieder ein. Bikerpartys funktionieren schon immer. Und schon immer analog. Da braucht man kein Internet, keine E-Mails, und auch kein Navi. Biker hängen für ihre Partys an fraglichen Schlüsselstellen immer nette kleine Hinweispfeile auf. Wenn Du auf dem Bock sitzt kannst Du in der Regel auch nicht gut am Navi rumdaddeln, es sei denn es ist ne Honda Goldwing mit irgend einem mir unbekannten Riesen-Interface in den Helm hinein oder so. Landkarte geht da noch etwas schlechter. Wenn du mit dem Krad fährst musst du einfach nur kucken auch. Und dafür hängen dann ganz viele kleine Pfeile.
Man fällt jedenfalls total von selbst aufs Festgelände, welches schon herrlich in der Sonne brät. Schönes sind schon da, ich fädel rückwärts ein, prompt da trifft auch Robin ein. Familie wieder komplett.
Als Festplatz dient die Fläche vor dem Biker-Clubhaus. Als Bühne dient ein LKW Auflieger. Der ist naturgemäß 2,50 m breit und lass ma 15 m lang sein. Das heißt, wir haben eine 15 m breite Bühne mit 2,50 m Tiefe. War so abgesprochen, haben wir schonmal hier so gemacht, aber ist anspruchsvoll. Auch wenn das Konzept Regen – Wasser das vom Himmel fällt – in diesem Sommer endgültig abgeschafft wurde, hängen Bands immer noch der alten Vorstellung an und hätten gern etwas Sicherheit für ihr gesamtes Vermögen, nämlich PA-Teile, Schlagzeug, Gitarren, Verstärker, Elektronik. Wer keine überdachte Bühne hat, improvisiert dann, zum Beispiel so.
So bauen wir auf dem LKW-Auflieger auf. Ich klättere ins Gebelk und befestige Rückwandbanner, Kabelbinder für hochgehängte Kabel etc. Ich klettere stets, weil ich einer der Leichtesten und der Entbehrlichste bin. Während ich klettere bemerke ich dass wir alle einen starken Durst haben. Ich erbitte eine Runde Kaltgetränke. Wir bekommen mühsam ein paar Warmgetränke. Das weckt den Beruf in mir und zieht mich wie so oft zum Schankwagen.
Ohne das jetzt hier wieder fachlich abseits breitzutreten – es bindet mich geraume Zeit diesen Abend, um Hilfe zu leisten. Ich kniee (sehr lustiges Wort, geht aber wirklich so!), also ich kniee mich da rein und gebe alles was ich ohne Werkzeug und Ersatzgeräte geben kann. Rat. Details weggelassen – die Bikers schaffens, letztendlich gibt’s kaltes gutes Bier.
Zwischendurch schnell Essen Fassen. Die haben da extra einen lecker Imbisswagen stehen mit verschiedensten Sachen. Aber irgendwie sind die bißchen durcheinander. Drei Kollegen bestellen einen Burger. Zwei bekommen einen. Robin bekommt einen Burger mit Pommes. Jochen bestellt nur Süßkartoffelpommes. Er bekommt diese, aber mit einer Currywurst. Dann kommt noch ein Burger. Wahrscheinlich war das Robins. Ich bestelle und bekomme eine scharfe Rindswurst mit scharfer Currysauce. Ist nicht sehr scharf alles. Wir essen das wieder am auch hier vorhandenen ausen Feuer (siehe vor zwei Wochen).
Die Band steht dann bereits spielbereit auf der Bühne während der Herr Heldentenor noch im Schankwagen mitschwitzt. Schnell noch zum Transporter schnippen, in die Bühnenklamotten steigen, ich sag euch. Ich muss das mal kurz loswerden. Hab ich vielleicht schonmal, aber egal. Es ist DERART sengend heiß. Und wir stehen voll in der Sonne mit der LKW-Bühne. Ich bin sowieso schon klatschnass wegen der ganzen Schankanlagen-Bauerei. Ich kleide mich normalerweise Sommer wie Winter in schlichte praktische schwarze Baumwoll-Armee-Hosen. Nicht wegen Ideologie, sondern z.B. wegen Bequemlichkeit, Praktischkeit und Außentaschen. Aber der F würde mir nie erlauben, damit auf die Bühne zu gehen. Ich MUSS mich umziehen. Das einzige praktikable Beinkleid was ich habe und was mich auch gleich nicht ganz so schmächtig wirken lässt ist meine geliebte geschnürte schwarze Lederhose. ABER KOMM DA MAL REIN im Sommer! Und WIEDER RAUS! Und vor allem ÜBERLEBE da drin für 4 Stunden bei 35 Grad im Schatten! Ich fang jetzt nicht an und rede von hartgekochten Eiern, ist mir zu zotig.
Der branchenfremde Leser ahnt jedenfalls nichts von unseren Leiden. Steffen geht es mindestens genauso in seinem Angus-Anzug. Will ich gar nicht dran denken.
Bei fast allen Veranstaltern, auf deren Niveau wir musizieren, ist eine Künstlergarderobe nicht vorgesehen. Ich muss selber lachen während ich das tippe und an – ach egal an wen so alles denke. Datenschutz. Folglich muss sich Steffen immer in irgendwelchen gerade noch eben irgendwo zu findenden 0,8 Kubikmetern Luftraum umziehen und von da aus starten. In der Regel sind das irgendwelche Kammern mit Regalen voller Ketchup, Konserven, Klopapierrollen und Schaftbolzen. Manchmal aber auch Kammern voller benutzter Besen, Staubsauger, Wischmobs, Klobürsten und Pümpel. Steffen steht dann bis zu einer Stunde in voller Montur (Angus-Anzug, Gitarre, Gitarrensender und Hut mit Plaste-Teufelshörnern) in diesen vor dem Publikum versteckten Kammern. Er wartet auf das Signal. Das Signal ist das Crayfish-Intro, das aus des Fs Sampler strömt. Wenn auf der Bühne endlich alle soweit sind, startet der F das Intro und Steffens Erlösung ist in Sicht. Er springt dann aus der jeweiligen Kammer. Weil das Publikum aber gebannt auf die übrigen vier adonisgleichen Künstler auf der Bühne starrt bemerkt es gar nicht, woher der Steffen kommt, der plötzlich zwischen ihnen steht. Diesen Trick haben wir uns von den berühmten Zauberkünstlern Siegfried & Joy abgekuckt.
Auch diesmal springt Steffen von hinten aus dem versteckten Lagerraum ins gespannte Publikum. Spielt ein bißchen das „Hell Ain’t A Bad Place To Be“-Riff mit uns und boxt sich dann zur Paletten-Treppe und zur LKW-Bühne durch. Und ab geht‘s.
Anfangs ist es noch ganz schön heiß und sonnenbeschienen – wir spielen gegen die Abendsonne. Aber naturgemäß versinkt die ja. Und mit dem Publikum ist es wunderbar. Ganz viele beste alte Crayfish-Freunde sind angereist, und auch die Lauchaer Bikerinnen und Biker erinnern sich an uns. Hm. Wahrscheinlich erinnern sie sich eher an AC/DC. DJ Baloo steht seit 16 Uhr auf Posten, ballert gut ausgewählten Rock und hat bereits vorab gut angefeuert. Und in den zwei kurzen Spielpausen die wir machen geht das wie geschmiert und ohne Absprache. Ich hauche nur ins Mikro und der Mann steht parat mit Pausenmusik. Respekt und Danke!
Als ganz schön schwierig erweist sich der Bühnengrundriss. Durch die Schmalizität des Anhängers haben wir vor dem Schlagzeug nur etwa 80 cm Platz. Das ist der Bereich den Steffen und ich während des Konzertes beständig durchqueren. Ich hab die ganze Zeit Bammel, dass einer runterklatscht auf den Betonfussboden. Passiert zum Glück nicht. Ich latsche nur wiederholt auf des Fs Bodengeräte.
Meine Witze findet wieder niemand lustig (z.B. „Das letzte Mal waren wir vor etwa 40 Jahren hier. Damals allerdings noch in Schwarz-Weiß.“). Aber das ist nicht schlimm. Es geht ja um die Musik. Und reden muss ich nur wenn eine Gitarre verstimmt ist. Der F lacht wenigstens immer dann, wenn ich Scherze auf Jochens Kosten mache („Seitdem der Jochen nur noch Kaffee trinkt kuckt er immer ganz bitter.“)
Aber es wird eine richtig schöne Party. Geplant war Spielzeit 21 Uhr bis 24 Uhr. Weil die Biker die Sperrzeitverkürzung bis 1 Uhr genehmigt bekommen haben spielen wir noch 45 Minuten länger.
Der Abbau läuft wie geschmiert, wir sind eingespielt. Wir verabschieden uns herzlichst von den freundlichen Bikern und von allen Crayfish-Freunden – es ist unglaublich, wie lange man sich jetzt schon kennt und wie beharrlich die unsere Auftritte besuchen. Wir sind sehr froh, euch zu haben.
Auf der Heimfahrt geht es dann mit mir durch und alles kommt wieder hoch. Vor drei Tagen ist ganz plötzlich mein Schwiegervater gestorben. Ein ganz feiner Mensch, den ich in den letzten 23 Jahren sehr lieb gewonnen habe. Wir haben schon an einem zweiten Bad und einem Wohnbereich gebaut, um ihn später zu uns zu nehmen und zu pflegen. Also nicht zu Crayfish, sondern zu Doro und mir in die Wohnung. Ich rede die ganze Zeit über alles was mir einfällt und heule mal richtig. Das ist wichtig. Und der F hört zu. Ich hab ein Heimfahrbier bekommen, der F ein Wennerdannzuhauseistbier.
Der F muss Sonntag früh um 9:30 Uhr wieder auf der Matte stehen mit dem Blasorchester. Man überlege sich das. Ich weiß gar nicht mehr wann wir zu Hause ankommen. 3:00 Uhr? Die letzte Whatsapp Nachricht von Steffen kommt 3:30 Uhr. Jedenfalls schick ich den F bei Ankunft nach Hause und will das Abladen und Verstauen von PA und Instrumenten am Sonntag alleine übernehmen.
Der Sonntag wird dann unerträglich. Es ist Sommer, Höchstsommer. Unsere Dachgeschosswohnung kocht über. Auf der Dachterasse unter Sonnensegeln im Totalschatten messe ich 42°C !!
Ich kriege den ganzen Tag nichts auf die Reihe, es ist zu heiß für den Straßenkampf. Ich liege nur flach vor meiner Schankanlage und warte dass die Sonne sinkt.
Erst 19 Uhr als die Schnappatmung endet kann ich anfangen abzuladen. Aber ganz langsam. Und nun? Sonntag 20 Uhr – Rock’n’Roll gewesen – zwei Tage im Arsch – Prost!
- Weil es zu den alten Laucha-Auftritten keine Tagebücher gibt erzähl ich zwei oben erwähnte Sachen doch mal ganz kurz hier. Die Bürgermeisterin lasse ich weg 🙂
Erstens – das mit den Haaren. Die Decke im Clubhaus ist sehr niedrig, nur knapp über Kopf. Im Fotoalbum sind ein paar Bilder von 2006, da sieht mans. Und über der Bühne hatten die die Decke irgendwie mit Schwarte verschalt, also mit unbesäumten Brettern, wo an den Seiten die Rinde noch dran ist. Jedesmal wenn ich die Haare schüttelte, blieb ich mit dem Schopf in dieser Rinde hängen. Ich hätte gern von vorne gesehen wie das aussieht, wenn dem Sänger immer plötzlich alle Haare zu Berge stehen und nicht mehr runterkommen. Und er an Ort und Stelle fixiert ist. Bis einer ihn lospiepelt.
Zweitens – das mit dem Transporter. Als der Auftritt zuende war und wir glücklich alles auf unseren – damals noch – T4 Pritschentransporter geladen hatten, folgte eine umfangreiche und herzliche Verabschiedung von allen Bikern und das gegenseitige Versprechen, sich wiederzusehen. Dann dampften der F und ich ab. Wir fanden aber mit dem Transporter in der tiefen Nacht irgendwie nicht wieder aus der Gartenanlage raus. Da waren lauter Feldwege und dann auch noch immer solche großen Entwässerungsgräben. Irgendwie sind wir in die falsche Richtung gefahren und kamen nicht zur Straße. Also wollten wir umlenken. Beim Rückwärtsstoßen fuhren wir dann versehentlich in einen dieser Gräben. Da die recht tief und mit steilem Ufer waren kamen wir nicht unten an, sondern der Transporter setzte sich mit dem Bauch auf den Rand. Also mit seiner Unterseite. Das Hinterteil schwebte über dem Graben, das Vorderteil hing draußen in der Luft ohne Bodenkontakt. So schaukelten wir ein wenig. Gabs das schonmal bei Indiana Jones oder irgendwo? Erstmal haben wir schnell alles Schwere vorn aufs Armaturenbrett gelegt. Aber viel Schweres hatten wir nicht. Wir überlegten was passiert wenn wir aussteigen, weil ja wie bei einer Wippe dann die andere Seite die Überhand gewinnt. Das wollten wir nicht. Aber sitzenbleiben wollten wir auch nicht. Handys gabs entweder noch nicht, oder wir wussten nicht wen wir anrufen sollten. Wir beschlossen also, dass erstmal einer vorsichtig aussteigt. Es ging überraschend gut. Vielleicht weil wir die schweren Sachen immer vorn auf dem Transporter laden und die also noch nicht über dem Graben hingen. Dann stieg der andere auch aus. Es hielt. Wir tapsten durch die Dunkelheit zurück zum Biker-Clubhaus. Dort war die Party noch in vollem Gange.
Als wir ankamen wurden wir lautstark und herzlich begrüßt – „Da seid ihr ja wieder!“. Unsere betretenen Gesichter führten zur Nachfrage und Schilderung der Lage. Die wollten das erst nicht glauben. Dann kam ein Trupp gestandener Biker mit und besah sich die Lage. Die haben uns dann auch ohne größere Schwierigkeiten mit vereinten Kräften wieder rausgehoben. Aber erstmal können vor Lachen. Anschließend zeigten sie uns noch die korrekte Fahrtrichtung und winkten nett zum Abschied. Sehr lachend.