03.08.2024 Friedrichroda, Biergarten am Brauhaus

Vor drei Wochen meldete sich Robin bei uns mit schlimmen Beschwerden an seiner rechten Hand, Taubheitsgefühl, später starke Schmerzen, keinen Stick mehr halten können. Zwei Wochen vor dem Auftritt kommt nach Arztbesuchen der Verdacht auf ein Karpaltunnelsyndrom auf.

Robin rennt erstmal von Pontius zu Pilatus bzw. versucht einen Termin bei einem Neurologen zur Achsvermessung zu bekommen. Nach meinem heutigen Kenntnisstand hat das nach 26 angerufenen Neurologiepraxen bisher noch nicht geklappt. Nach Hausarztdiagnose und einfachem Gebot der Vernunft ist aber Trommeln für die nächsten Wochen, vielleicht Monate, erstmal undenkbar.

Ich rufe im Brauhaus Friedrichroda an um alles zu erklären und abzusagen. Thomas Schack ist wie zu erwarten mehr als erschüttert, mehr so zerschüttert. Er meint – weißt du wieviele Karten ich verkauft habe? Was soll ich denn mit denen allen machen? Allen erklären und zurückbezahlen?.

Ersatztermin geht nicht. Ersatzband finden wir auch nicht, zumindest keine, die die Kartenkäufer akzeptieren würden. Ersatzmitarbeiter finden wir auch nicht, zumal die Erfahrungen da bisher von furchtbar schlecht bis gerade noch ok reichten. Freund Wanze z.B. schaffte sich letztes Jahr ein Riesen-Programm in kürzester Zeit drauf und half uns aus am 4.11. in Bad Tabarz. Es war für so eine kleine Bikerparty in Ordnung und eine super Leistung von ihm. Aber man kann nicht in kürzester Zeit die ganzen Songs lernen und perfekt spielen. Es sind ja viele Songs bei uns. Da sind dann immer Fehler drin, das ist nur menschlich. Und man kann niemandem, der sonst nicht AC/DC spielt, abverlangen, für eine Crayfish Mugge Wochen seiner Lebenszeit zum vorher Üben aufzubringen.

Bei einem spätabendlichen Katastrophentelefonat wirft der F ein, er habe ja zufällig nun vom letzten Auftritt in Gera die kompletten Mitschnitte von allen Musikanten vom ganzen Set. Siehe Tagebuch vom 01.06.2024. Und man könne theoretisch zu der vollwertigen Schlagzeugspur auch mit der Band spielen. Seine Yvonne war auf diese Idee gekommen und hat das vorgeschlagen. Wir sind uns beide einig das wir das absolut NICHT wollen, weil es wirken wird wie eine Kirmeskapelle, die zum Drumcomputer spielt. Schließlich sind wir eine Rockband. Wie soll das authentisch gehen ohne Schlagzeug. Undenkbar. Die Leute würden Eier werfen wahrscheinlich.

Nacht für Nacht grübele ich in schlaflosen Zeiten nach. Auf der einen Seite liegt in der Waagschale unsere Angst, Mist abzuliefern. Auf der anderen die katastrophale Zerstörtheit der Veranstaltung. Meines Wissens eine von 4 pro Jahr, und wohl die Wichtigste im Brauhaus.

In mir wächst der Gedanke, es doch mit der Tonspur zu versuchen. Befeuert vom Zuspruch des befreundeten Ex-Bellbreakers-Bassisten Steffen, der mich ermutigt und meint, man müsse es nur gut kommunizieren. Schließlich wäre das immer noch besser als eine Absage.

Ich überzeuge mich selbst. Anschließend kriege ich den F rum, wenigstens so halbwegs. Ich schmiede den Plan, ein rudimentäres Drumset mitzunehmen und Robin lebensgroß aus Pappe zu basteln und ihn dahinter zu setzen. Dann zeigt die Optik auf der Bühne zumindest was gemeint ist.

F und ich haben Angst davor, dass tatsächlich mal neue Leute zu unserem Auftritt kommen. Und die fühlen sich dann vielleicht verarscht weil sie denken, bei uns kommt immer alles vom Band.

Wir beschließen es durchzuziehen. Ich suche ein Foto von Robin raus, das wir in guter Auflösung haben. Ich bügele an der Grafik und bügele. Meine Doro ist diese Woche gerade noch im Dienst in Dresden in ihrem Architekturbüro und kann großflächig farbig ausdrucken. Robin wird ausgedruckt und kommt zum Wochenende gerollt nach Tröbnitz. Hier wird dann auf großer Pappe mit Tapetenkleister, Cuttermesser und Holzlatten gewerkelt, bis ein authentischer Robin entsteht. Ein paar Tage haben wir ihn vorm Auftritt noch in der Wohnung, was durchaus verwirrend wirkt wenn man im Vorbeigehen nicht dran denkt.

Parallel werkelt der F an der Schlagzeugspur. Das Hauptproblem wird sein, dass wir alle keinen Schlagzeuger SEHEN. Stellt euch die Songs vor. Es gibt unzählige Stellen in den Songs – und fast sämtlich Schlüsse – wo man nicht auszählen kann. Das ist immer improvisiert. Die Band dreht sich dann zum Schlagzeuger um und kuckt, wann genau der auf Becken und Toms haut – und macht das mit. Wenn da aber niemand ist, sieht auch niemand was.

Um das auszugleichen baut der F vor JEDER solcher Stelle auf der Tonspur 4 Einzähler ein, die dann nur auf der Bühne über die Monitorboxen und nur für uns zu hören sind, nicht vorneraus für die Gäste. Das ist eine unglaubliche Arbeit, denn er muss die ganzen Stellen ermitteln, dann das jeweilige Tempo der rein natürlichen Tonspur, die ohne Click gespielt wurde, und das genau so dann manuell einbauen.

Ich möchte nicht wissen, wieviele Stunden das gedauert hat. Der von mir gebastelte Papprobin ist dagegen lächerlich.

Dann eine Probe mit dieser Technik, um zu sehen ob das überhaupt geht. Also die Tonspur. Das mit dem Papprobin wird schon gehen. Es zeigt sich zuerst, dass wir sehr viel leiser proben können als sonst, weil kein echter Robin herumdrischt. Weiterhin zeigt sich dann, dass das grundsätzlich erstmal geht mit der Tonspur, weil wir uns sehr wohl damit fühlen, denn sie IST ja Robin.

Allerdings kommt Jochen nicht mit des Fs tollen Einzählern klar. Der F baut ein „ping pong pong pong BOING“ (wobei BOING die ganze Band mit ihrem Einsatz ist). Jochen spielt immer „ping pong pong pong _ _ BOING“. Nach etlicher Erklär- und Übungsarbeit geht es dann doch.

Mit Bauchschmerzen vereinbaren wir die Logistik für den Sonnabend in – eigentlich – einem Lieblingsauftrittsort.

Sonnabend 15 Uhr trifft der F am Techniklager in Tröbnitz ein und wir laden auf. Weil Robin uns fehlt hab ich nur ein Zweibettzimmer zur Übernachtung in Friedrichroda gebucht. Die Schönes fahren immer heim. Spontan kommt aber Doro mit (seit mindestens oder höchstens 20 Jahren bei keinem Crayfish Auftritt gewesen aus Gründen) weil ein Platz im Transporter frei ist. Und weil wir sowieso nicht zusammen zeitgleich zum Gössnitz Open Air fahren können (ich hätte gern Van Canto da gesehen). Und weil alle anderen Freunde plötzlich spontan auch nicht zum Gössnitz Open Air fahren. Und Doro alleine will nicht, ist ja doof. Da sie nun kein einziges Festival in 2024 hat will sie nicht auch noch statt eines nicht besuchten Gössnitzes alleine zu Hause hocken. Das wäre noch ein kleines bißchen übler als ein Crayfish Auftritt. Obwohl es da gute Bücher gäbe.

Wie ich so beim Aufladen mit dem F über die Übernachtung rede und dass wir Doro im Zweibettzimmer mit einbasteln müssen fällt ihm ein – er hat seine Zahnbürste vergessen! Ich überlege kurz im Stillen ihm zu erzählen wie das manche Leute mit Tannenzweigen machen. Ich erwähne laut er könne ja früh ein Bier trinken. Er fährt aber doch lieber in den Nachbarort zu seinen Eltern und holt eine.

Es stauen sich inzwischen 20 Minuten Verspätung auf mit unserem Gebummel und der Zahnbürste. Da kommt er.

Also ab. Und diesmal haben wir eine glaubhaftere Jody zwischen Colt und Howie im Cockpit. Nichts gegen Robin.

Ankommen ist wie immer. Friedrichrodas Gastro-Crew ist inzwischen fast komplett chinesisch (oder sicher eher vietnamesisch) und diese ganzen ganz lieben und freundlichen aber furchtbar kleinen Leute flitzen immer um uns beim Abladen rum. Später werden dieselben für fürstliche Bewirtung sorgen und am Schluss nach Feierabend laut Doros Beobachtung auch noch ein bißchen bei unserer Mugge abfeiern und nach ihrer Art kichern. Ist ja berechtigt.

Die Schönes sind längst da, haben sogar anständig geparkt so dass wir mit dem Transporter reinkommen, und haben ihren Kram schon auf der Bühne. Zack zack zusammen los, abladen aufbaun. Schlagzeugsoundcheck fällt weg. Aber erst jetzt wird mir bewusst, dass ja Robins Gesangsstimme ebenfalls komplett fehlt. Die ist wichtiger als die vom F. Die Stimme haben wir nicht mit auf der Tonspur. Robin wird beim Gesang richtig fehlen. Ich bitte den F mir etwas mehr Gnadenhall auf meine Stimme zu geben um das auszugleichen und etwas voller zu klingen.

Soundcheck klappt gut, wobei sich der Biergarten da schon deutlich füllt weil wir viel zu spät sind und überziehen. Normalerweise setzt der Veranstalter da berechtigt seine Eckpunkte um seine Gäste bestmöglich bedienen zu können. Aber weil wir uns nun schon eine Weile kennen (Crayfish, Publikum, Veranstalter) nimmt man uns das nicht zu sehr übel, sondern freut sich zusammen auf den Abend.

Schnell checke ich noch mit Doro in unser Zimmer im Kloßtheater ein. Zimmer Nummer 5. Da waren wir noch nicht, weil bisher immer zu dritt. Bei der Zimmersuche müssen wir durch fünf Schwarzkittel mit Biers in Händen, die im Flur sitzen und vorglühen. Es erhebt sich unter denen ein großes Hallo – „Hä – na sowas? Wohnen wir etwa neben der Prominenz?“

Im Zimmer überlegen wir kurz wegen der Verteilung. Ein großes Ehebett. Dem F ist nicht zuzumuten auf dem Boden zu schlafen denn er kann ja nichts dafür. Doro hat Rücken. Also lege ich mich als Bettvorleger nebens Bett.

Schnell noch was essen vor der Mugge. Es gibt Bratwurst, Kesselgulasch (nehm ich weil gut verträglich für Singen) und Pizza. Hier ein ganz besonderes Konzept. Du bestellst eine und bekommst einen Boden. Dann gehst du durch eine Art Buffet und suchst aus was du alles drauf willst. Das wird dir dann so gebacken. Wenn fertig springt der mitgegebene Piepser in deiner Tasche an und du bekommst deine Individualpizza. Find ich toll und wird sehr gut angenommen. Machen alles die fleißigen Asiaten. Sind ja weltweit für ihre Pizza berühmt geworden.

Am Einlass strömen die Leute rein, und es kommen ganz viele, die schon Jahrtausende unsere Crayfish Auftritte besuchen. Adrian mit seiner Frau, Tanja & Co., Ines & Co., Klaus hat einen ganzen Stapel Tickets, den er gekauft hat und unterverteilt, Anke und Dirk vom Tarona Team, ich vergesse bestimmt ganz viele, seid nicht böse. Auch Düsseldorf ist wieder vertreten wie jedes Mal, die Verrückten.

20:00 Uhr fangen wir an zu Spielen. Intro, Einzähler und ‚Hell Ain’t A Bad Place To Be‘ klappen super dank des Fs immenser Vorarbeit. Wir justieren noch ein wenig am Gesamtsound. Mit dem sehr praktischen Funkmikrofon kann ich immer wieder in den Biergarten gehen und von unten nachhören. Die Gäste denken dann immer das ist wie in der Wernesgrüner Musikantenschänke wo die Schlagersänger durchs Publikum laufen mit dem Mikrofon und hier und da einen Arm drum legen und schmierig lächeln.

Nach 4 Songs lüfte ich das Geheimnis und erkläre dem Publikum, daß das am Schlagzeug gar nicht Robin ist, sondern nur ein Pappaufsteller. Steffen kommt zu mir, kuckt bestürzt – „Ach das IST gar nicht Robin?“

Ich erkläre allen die Situation und dass alternativ eine Absage gedroht hätte, und es gibt breitestes Verständnis und dicken fetten Applaus für den abwesenden Robin. Das zieht sich durch den ganzen Abend. Also ich nehme an dass der Applaus immer für Robin war.

Mit der Tonspur kommen wir richtig gut klar. Die ping pong pong pong Einzähler hört man auf der Bühne laut und deutlich, vorn nur ganz leise. Jochen kriegt das „Boing“ jetzt an den richtigen Stellen hin. Nur das Intro von ‚Stiff Upper Lip‘ verkacken wir etwas, weil Steffen und ich die Hihat dort zu leise hören. Aber es geht.

Weil wir etwas zu wenig Songs auf Tonspur haben trauen wir uns nach Diskussion ‚The Jack‘ komplett OHNE Schlagzeug zusätzlich zu spielen. Auch das geht. Das Publikum dreht einfach von Anfang an völlig frei. Riesenstimmung.

Im zweiten Set sag ich noch so – „Dies ist jetzt das ERSTE Mal bei euch, dass es nicht regnet! Hätt ich jetzt vielleicht nicht sagen sollen.“

Ich behalte mit dem zweiten Satz recht. Im dritten Set fängt es dann an zu nieseln. Ein wunderschöner warmer leichter Sommernachtsregen pieselt sich durch die Musik. Ich stell mich noch demonstrativ vor das Bühnendach in den Nieselpiesel mit Musikgeriesel um zu zeigen, daß das richtig schön ist. Leider hört es dann auf mit Wenig Regnen. Die Kollegen reagieren und ziehen alles was Technik ist rückwärts unters Bühnendach während ich vorn an der Waterkant weiter rumschreie. Nach einer Weile heftigen Regnens bilden sich beim Bühnen-Zeltdach schwere Wassersäcke. Unser Freund Klaus will helfen, schnappt sich einen Besen und drückt die Wassersäcke nach oben um sie zu leeren und zu entlasten. Bei dem einen steh ich genau drunter. Mitten in der Singzeile verschwimmt es mir vor Augen und ich fühle mich wie in einen Eimer gefallen. Hier sieht man’s.

Die Leute drehen sowieso und auch während des Regnens noch komplett durch. Einer reicht mir eine Brian Johnsson lookalike Baskenmütze hoch die ich aufsetze. Im Publikum sitzende Freunde und Doro teilen mir später wieder deutlich mit, dass ich solche Mützen nicht aufsetzen soll. Oder noch üben. Die beiden Kerle denen die Mütze gehört, und die schon die ganze Zeit steil gingen, bedrängen mich nach dem Auftritt vehement weil sie Robins Statue kaufen möchten. Ich verneine das kategorisch. Erstens wissen wir nicht wann der echte Robin wieder fit ist. Zweitens ist es mir etwas suspekt was sie damit wollen. Schänden? Vögel vom Beet vertreiben? Eine AC/DC-Coverband gründen?

Robins Tonspur gab nur 24 Songs her. Dem Publikum reicht das nicht. Also müssen wir nach den Zugaben noch manches mit der Tonspur wiederholen. Irgendwann ist aber Schluss. Auch wegen der Nässe entlässt uns das Publikum gnädig. Wir räumen schnell alles ins Brauhaus. Ebenso schnell wollen wir noch ein Feierabendbier zischen, eins von diesen leckeren. Aber es ist schon Ausschankschluss. Die Barleute wollen ja auch mal heim. Ich sag noch aus Quatsch – sollen wir jetzt zur nächsten Tankstelle? Aber die ist weit. Na sowas. Nüchtern ins Bett nach getaner Mugge.

Die Schönes zwitschern ab zurück ins Holzland. Wir drei verbliebenen tapsen nass wie wir sind ins Hotelzimmer. Doro und F ins Ehebett, ich als Bettvorleger.

Die Nacht ist früh vorbei weil irgendeiner der Nachbarn mit Badelatschen über den Flur stampft. Es schmatzt, klatscht und stampft als ob er oder sie 150 kg wöge. In der Wasserflasche bilden sich Ringe wie beim T-Rex.

Naja. Wir machen das alles nicht um möglichst viel Schlaf zu bekommen. Da wären wir irgendwo falsch abgebogen. Und mit dem Klammerbeutel gepudert. Wir müssen eh aufstehn und sehen, dass wir noch etwas Frühstück abfassen. Welches gelingt. Im altehrwürdigen Gasthaus werden wir verwöhnt. Insgesamt ist Friedrichroda immer die absolute Wucht. Ich denke ich erwähnte es bereits.

Beim Aufladen im Sonnenschein sag ich zum Veranstalter – dass es bei euch aber auch IMMER regnen muss! Der Veranstalter sagt – in Friedrichroda regnet es nie. Nur wenn ihr spielt.

Und Pickeldi und Frederik fahren mit Doro vergnügt nach Hause.