01.06.2024 Gera, Steinweg

Freitag der 31.05.2024. Der morgige Open-Air-Auftritt im Steinweg soll wetterabhängig stattfinden oder nicht. Für morgen sind für Gera bis zu 150 Liter pro qm Starkregen angesagt und eine Unwetterwarnung. Das sind 15 cm Wassertiefe. Nun ja, es wird nicht alles auf einmal runterfallen. Ist das nun schlechtes oder gutes Wetter? Ich rufe mal den Veranstalter an.

Hm. Der Veranstalter will das durchziehen. Der Deutsche Wetterdienst meint morgen Abend wird fast schönes Wetter. Wir bekommen eine 30 cm hohe Bühne, sind also immer noch 15 cm über dem Wasserspiegel. Am Einlass gibt es einen Gummistiefelverleih und Rettungsringausgabe. Und wir dürfen die ganze Zeit gegen die Strömung spielen, so dass das Publikum immer zu uns gespült wird. Die Küstenwache kreuzt.

Sonnabend der 01.06.2024. Vormittag. Die Sonne scheint. Die Frisur hält. Hm. Es bleibt spannend. Die aktualisierte Wettervorhersage verspricht uns für die Showtime ein leichtes Gewitter mit Showern, äh Schauern. Thunderstruck.

Der F schlägt für uns zwei (Team Rot mit Volvo) Treffzeit 17:15 Uhr vor. Ich bin einverstanden und richte mich auf 17:30 Uhr ein. 17:15 bekomme ich eine Nachricht aufs Telefon – „I am there.“ Ja isses denn! Potzblitz. Zeichen und Wunder.

Wir laden Licht, Pult, Mikros, Kabel, Monitore, Bass, Bass-Amp und Merch ein. Den Rest haben Team Schön und Team Block schon in deren Autos. Und ab nach Gera. Das Wetter ist tatsächlich immer noch ganz wunderbar.

Bei Ankunft müssen ein paar Sperrschilder ignoriert sowie der Straßenbahnfahrplan beachtet werden – ein Stückchen teilen wir uns ungefragt und unerlaubt den Weg mit der Bahn, um von hinten an den Bühnenbereich heran zu kommen. Die Veranstaltung ist äußerst nett und sympathisch. Es handelt sich eher um ein kleines Straßenfest anlässlich des ursprünglichen Kindertages (1.6.). Entsprechend gibt es viele Zelte mit Kinderbespaßung, und sehr viele Kinder. Ich falle ein paarmal fast hin weil ich nicht nach unten gesehen habe.

Wir sollen hier quasi an der Schnittstelle andocken zwischen ‚Kinder müssen ins Bett‘ und ‚Eltern langweilen sich noch‘. Am Nachmittag gab es hier schon eine Schalmeienkapelle, und da war es richtig voll. Herr, hab doch Erbarmen.

Vor uns spielt noch ein Ein-Mann-Folkmusikorchester. Mit unklarer Zeitvorgabe. Wir sollen 18:30 Uhr aufbauen. Er meint er soll bis 19:00 Uhr spielen. Nun ja. Letztendlich müssen wir unser Set kürzen.
Als wir dann auf die Bühne dürfen und aufbauen geht es los. Der Himmel öffnet seine Schleusen. Es klatscht herab. Es eimert. Der vordere Bühnenbereich ist geflutet. Aber nach 15 Minuten ist alles vorbei. Als wir etwa 20:15 anfangen zu spielen ist das Wetter angenehm. Später werden alle noch einmal etwas benieselt, aber mit einem schönen warmen Sommerregen.

Vorne am Bühnenrand steht ein Becher den jemand stehenließ. Im Bild sieht man’s. Igitt. Da hat tasächlich einer vergessen seine Kippen auszutrinken.

Vor zwei Wochen beim Rock-Hard-Festival bin ich voll auf den Rücken geklatscht, auf den Betonboden vor der Bühne, wie ein Käfer. Von einem übersehenen Crowdsurfer umgesemmelt. Es tut immer noch weh. Beim Heben schwerer Dinge ist es nicht so schön. Wenn das mit der Musik losgeht ist es vergessen.

Steffens benachbarter Arbeitgeber Musikhaus Schlegel hat der Veranstaltung eine kleine PA geliehen, geht ganz gut und erspart uns Arbeit. Wegen des bestenfalls wechselhaft zu nennenden Wetters rechnen wir nicht mit viel Publikum. Schließlich so etwa 50-60 Leute sammeln sich dann vor der Bühne und unter den Pavillons. Sie sind anfangs etwas zäh, aber bald gefällt es ihnen gut. Sie werden nach und nach immer gelöster sag ich jetzt mal. Auch Jens und und Jutta aus Ilmenau sind da. Für Jens ist es das 86. Crayfish Konzert. Er hat ein herrlichst verwaschenes Crayfish-T-Shirt an welches selbiges eindrucksstark belegt.

Vorn steht ein kleiner Junge im blauen Adidas-Shirt. Er filmt uns mit seinem Taschentelephon. Und er singt dabei mit! Er kann den Text! Und wir spielen gerade Who Made Who!!

Ich frag ihn dann – „Woher kennst DU denn Who Made Who? Aus uralten Überlieferungen? Oder von Deinem Großvater?“ Er ruft mir zu: „SPOTIFY!“ Wow. Man soll nicht immer alles ungeprüft verteufeln.

Überhaupt sind noch sehr viele Kinder anwesend. Ein anderer kleiner Junge im AC/DC-Shirt spielt die ganze Zeit Luftgitarre. Und ein kleines Mädchen flitzt immer wieder vor die Bühne und sammelt unsere Geldscheine aus dem Matsch. Die arme. Ich winke sie ran und gebe ihr einen Schwung trockene.

Weil ich immer noch keinen Wecker nachbestellt habe muss ich zur Übersicht über den Zeitablauf ständig mein Smartphone konsultieren. Einziger möglicher Aufbewahrungsort ist die Arschtasche der Hose. Wo sonst nur mein Haargummi wohnt. Das dauernde Rausgeziehe des Telefons bekommt ihm nicht wie ich bald am Bühnenboden sehe. Mein armer einziger Haargummi liegt im Matsch. Sieht nicht gut aus. Muss in die Wäsche.

Dank der Sperrzeit müssen wir 22 Uhr schon wieder aufhören. Es ist überhaupt etwas ungewöhnlich, mitten in der Altstadt in einer Gasse unter den Wohnungsfenstern solchen Radau machen zu dürfen.

Das Publikum ist hinterher richtiggehend enthusiastisch. So viele Fragen, Kuschelungen und Fotos haben wir selten. Die stehen fast Schlange. Naja – in der Heimat treten wir auch sehr selten auf. Man muss kein Prophet sein, um im eigenen Lande nichts zu gelten.

Und immer die gleichen Fragen.
„Kannst Du da hinterher überhaupt noch reden?“
„Wie machst Du das mit der Stimme?“
Ich sag „Das ist ne Mutation.“
„WAAAS? Ne Motivation?“
„Nein! Ne MUTA-tion!“.

Wir bauen alles ab. Sogar Jochen wickelt mit Kabel auf. Ich muss nicht sehr viel mit machen weil mich die Gäste immer nicht in Ruhe lassen. Bald ist alles verstaut und der F und ich cruisen im Volvo nach Hause. Klingt ein bißchen wie – Und Pickeldi ging mit Frederick nach Hause.

Der F behauptet ich wäre ein bißchen betrunken. Ich behaupte nein.

Mangels Abendbrotversorgung hab ich nun aber doch stark Hunger und mach mir schnell noch ein übelstes Leberwurstbrot. Ich hab sogar noch saure Gurke.

Meinem adrenalin- und bierverseuchten Gehirn gehen Dinge durch den Kopf wie: Die meisten Menschen auf der Welt können von sowas nur träumen. Das Leberwurstbrot meine ich. Also der carnivore Teil der Menschheit. Ich würde das gern ändern. Aber ich weiß nicht wie. Ich meine dass die alle keins haben.

Ich habs dann trotzdem gegessen.

Um eins lieg ich im Bett. Was für ein Luxus – Heil sei der Sperrstunde!

Der F schnott diesmal erneut mit und diesmal wohl sogar alle Spuren. Er hat dann beim Abbauen nur gemerkt dass er vergessen hat auf Stop zu drücken. Die Aufnahme läuft also immer noch. Bin gespannt.