Na da bin ich aber mal gespannt. Ein Wochenende Bandurlaub inklusive Mugge. Wir haben Urlaub genommen und starten am Freitag Vormittag. Die Instrumente verteilen wir über drei Autos. Zwei hättens auch getan, aber Jochen bleibt rückwärts in Berlin zurück, um ein Vorstellungsgespräch zu gewinnen.
Leider hat Jochen vergessen, uns über diesen Umstand zu informieren, was für Unmut sorgt. Also drei Autos. Das führt dazu, daß ich alleine fahre. Hätt ich das gewußt. Ich hab extra den USB-Stick mit gemäßigter Mugge gefüllt, wegen dem Mäkel-F, der einen – gegenüber meinem – stark begrenzten Musikgeschmack hat. (Pfff. – Anm. vom F) Was immer jetzt hier als Klammerbemerkung kommt, lasst euch nicht beirren! Das ist schon anhand von Bands die wir mögen sehr leicht belegbar. Zurück zum Thema. Ich hätte also ruhig ein wenig energischere Musik draufpacken können.
Dann also los. Malchin, leicht über 400 km. Ich komme etwa 10 min später los als der F, der mit dem Frisör fährt. Des Fs Auto ist neu, meins 20 Jahre alt. Meins ist ein großes altes Volvo-Eisenschwein voller Instrumente, des Fs ein sportlicher Golf. AAAAABER der F hat den Frisör an Bord. Es kommt wie es kommen muss: Ich bin eine Stunde früher da als das F-Mobil, hihi. Zum Verständnis: Beim F im Auto wird’s wohl so gewesen sein: „Halt mal an, ich hab Hunger!“, „Halt mal an, ich muss mal eine rauchen!“, „Halt mal an, pinkeln!“, „Halt mal an, anhalten!“.
Daraus ergibt sich ein weiterer Effekt. Bei der Fahrt überhole ich stattliche Staffeln von Polizeiautos. Pkws, Sixpacks und sogar ganze Polzei-Omnibusse (sowas hatte ich noch nie gesehen). Alle auf dem Weg nach Berlin, wegen der 1.Mai-Krawalle. Ich zähle so bißchen mit und komme auf etwa 40, die ich in Richtung Berlin überhole. Hinterher vergleiche ich mit dem F, der 80 geschätzt hat. Wir grübeln wir grübeln – ACH – der hat die meisten ja zweimal überholt hihi.
In Malchin findet sich ein wirklich sehr schönes Festivalgelände. Mit herrlicher Händlermeile und verschiedenen Essen-Ständen, 4 verschiedenen Bühnen, allem möglichen Schnickschnack drumherum wie z.B. einem kleinen Zelt mit „erotischem bike-wash“ oder zwei Toilettenwagen. Dazu ein sehr weitläufiges Camping-Areal. Man kann sich hier sehr wohlfühlen.
Unsere erste Bühne – für den Freitag – ist die Asphaltbühne. Das ist eine Art Bungalow mit ausladendem Vordach und Betonsockel. In dem Bungalow (also hinter dieser Bühne) befindet sich nebenbei so eine Art Fööhrrrerhauptquartier. Beim misstrauischen Beobachten der Asphaltbühne fällt uns am Nachmittag eine Band auf, die aus drei appetitlichen Mädels aus Tschechien besteht („Czech it“). Sie sehen aus wie knappe 16. Wir kommen später mit dem Manager ins Gespräch und er behauptet zwei wären 18. Neee is klar, sonst gäbs ja auch Schwierigkeiten mit dem Sandmann und dem Alkohol. Jedenfalls sind die Mädels richtig gut – können spielen und vor allem: Können zusammen spielen! Astreiner, sauberer Groove. Dabei werden Klassiker (auch von AC/DC) mit eigenem Material gemixt. Die merken wir uns mal!
Mit unserer Spielzeit geht es etwas chaotisch zu. Erst heißt es 20:30. Dann gibt’s erhebliche Verzögerungen im Set und es heißt nee, dann lieber nach dem Hauptact auf der Hauptbühne. Also nach Mitternacht. Dann wieder doch nich und lieber direkt vor der Hauptattraktion. Is ja egal. Bei so einem Festival ist das alles gar nicht so einfach unter einen Hut zu bringen. Ich flechte mal eine unterstellte Gewachsene-Erfahrungsprognose ein. (? – Anm. der Redaktion) (Ich formuliere versucht alles diplomatisch, weil ich seit jüngst weiß, daß unsere Veranstalter dies hier ebenfalls lesen. Ich bin deshalb zunehmend in einer Art journalistischer Zwickmühle gefangen weil ich mich gehemmt fühle und nicht mehr reden möchte wie mir der Schnabel wächst. Aber das ist jetzt Abschwiff.) Man hat auf den diversen Bühnen auch das Problem weniger geübter Darsteller, die ihre Auf- und Abbauzeiten sowie ihre Spielzeiten weniger planmäßig einhalten können weil sie einfach nicht wissen, wie lange das dauert. Dazu kommen andere Einflüsse wie Verschiebungen bei anderen Programmpunkten und Naturkatastrophen. Das ist einfach immer so, und auch bei einem tollen und gewachsenen Festival wie dem 17. Motorradtreffen in Malchin ist nicht jedes Detail wie geplant umsetzbar. Aber das macht ja auch überhaupt nichts, solange man es mit so flexiblen Bands wie der übrigens äußerst professionellen Kapelle „Crayfish“ aus Thüringen zu tun hat. Die Gefühle wechseln zwar kurzfristig (wir sind gleich dran, schnell nochn Bier! – nee wir sind erst um eins dran, nüchtern bleiben, kein Bier mehr! – wir sind doch gleich dran, doch noch schnelln Bier!), aber wir sind ja anpassungsfähig. Wir trinken einfach sicherheitshalber ein Bier.
Es kommt schließlich zum musikalischen Gastspiel Crayfishs. Wie sich beim nachmittäglichen Beobachten des Umfeldes der Asphaltbühne bereits abzeichnete, ergibt sich nicht DEEEER Moshpit. Es ist eher ein gemütliches Beisammensein derjenigen Wenigen, die australische Musik mögen. Freundliches Kopfnicken werten wir als Zustimmung. Wegen der vertraulichen Atmosphäre spielen wir auf Zuruf, was auch gern genutzt wird. Allerdings tauchen irgendwann die Mädels aus Tschechien vor der Bühne auf und feiern heftigst ab. Singen jeden Song mit. Verunsichernd für mich – selbst wo ich mal eine kleine Gedächtnislücke hab und zum Beispiel grmblfx singe, da kennen die jeden Text. Hrmpf. Wir holen sie schließlich auf die Bühne und lassen sie Einen mit uns schmettern. Das macht auf der Bühne großen Spaß – und offensichtlich noch größeren davor! Große Teile des Publikums scheinen die Tschechische Band bereits am Nachmittag angeschmachtet zu haben und erleben nun eine willkommene Melange aus deren weicher, charmanter, jugendlicher Anmut und unserer rauen, maskulinen, routinierten, ehrenamtlichen Überzeugungskraft. Irgendjemand – ich glaub Jochen – macht gleich einen Termin für morgen für die Hauptbühne klar. Wir sind fertig mit dem Konzert und räumen schnell die Bühne. Es ist sehr dunkel. Es gibt keine Möglichkeit, mit dem Auto an die Bühne zu fahren. Also schnappt sich jeder ein greifbares, fertig gepacktes Bündel und läuft damit zum Auto. Wobei wir darauf achten, daß jeweils wenigstens eine Person immer gerade am Auto und eine an der Bühne bleibt, um die Bestände zu bewachen. Was dabei auf der Strecke bleibt ist die Übersicht darüber, was wir nun eigentlich schon weggepackt haben. Wir räumen einfach die ganze Bühne ab.
Wir hängen noch so bissel auf dem Festival rum, irgendwann fährt Jochen dann die ganze Band ins Hotel, überland. In unserem Hotel sind neben uns noch Rentnerbusse und alle anderen Bands untergebracht. Der Steffen ist noch so energiegeladen, daß er zu nachtschlafender Ankunftszeit bei den Tschechenmädels klingelt, um gemeinsame Aktivitäten abzustimmen. Wegen der Uhrzeit ist der erhaltene Bescheid jedoch abschlägig.
Also stoßen wir schnellfix noch mit einem Feierabendbier an und haun uns in die Kojen. Der F und ich im Ehebett, der Frisör im Kinderbett. Die Schönes im Extrazimmer.
Der erste Sonnenstrahl kitzelt die Nase wach. Klingt schön, gell? So wars aber nicht. Entweder wache ich auf weil einer gepupst hat oder weil der Frisör den F schüttelt, weiß nicht mehr. Der Frisör möchte den Tag beginnen. Der F is not amused über die frühe Weckigung. Wegen der gegenseitigen verbalen Belegung der zwei krieg ich einen Zwerchfellmuskelkater und fühle mich den restlichen Tag sehr schwach.
Na ersma sehen was überhaupt los ist. Ich suche nach meiner Brille. Huch, schreck. Nicht da. Na dann suche ich halt nach ein paar Kontaktlinsen. Huch, noch hucher, SHOCKING. Auch nicht da. Ähm. Problem ist, ich habe eine Sehschwäche, die an Behinderung grenzt (für Auskenner: -7,5) (nein, kein Promillewert! – Anm. der Redaktion). Ich benutze bei Konzertveranstaltungen Einweg-Kontaktlinsen, die man nach Gebrauch wegschmeißt. Das hat verschiedene Gründe und Hintergründe die hier zu weit führen. Jedenfalls hab ich alles, was ich zum Sehen brauche offensichtlich zu Hause vergessen. Wir haben schon alles mögliche vergessen. Vom Auftrittstermin bis zur Basedrum. (Bassdrum, Herr Meißner, Bassdrum! – Anm. vom ober-auskenn-F) Aber daß ich nichts mehr sehe – das ist mir noch nicht passiert. Problem ist – es ist erster Mai. Also Feiertag. Es hat nichtmal ein Optiker, Apotheke oder sonstwas geöffnet wo ich mir irgendwas zum Sehen holen könnte. Ich male mir aus, wie ich heute auf die Hauptbühne geführt werde. Setlist lesen ist ein Witz. Ich kann froh sein, wenn ich den weißen Zettel vom Bühnenuntergrund unterscheiden kann, um nicht drauf auszurutschen. Und wenn im Publikum jemand drohend ein Ei hochhält, um es nach der Band zu werfen, kann ich nicht ausweichen. Wat nu?
Aber wir sind ja Ossis. Und Ossis sind es gewohnt, zu improvisieren. Im Bad im Abfalleimer liegen noch meine weggeschmissenen Einweg-Kontaktlinsen von gestern. Ich piepele sie heraus. Inzwischen sind sie zu harten, kleinen, missgeformten Plasteklumpen zusammengeschrumpelt. Weil ich Einweglinsen benutze habe ich auch keine Kontaktlinsenflüssigkeit oder so’n Scheiss dabei. So und jetzt kommt ein Verfahren, das ich patentieren lassen werde (don’t try this at home). Die im Abfalleimer vorgefundenen Plasteklumpen werden grob vom Schmutz befreit. Anschließend werden diese Ruinen eingelegt in ein Leitungswasser-Bad im Hotel-Zahnputzbecher. Nach einer halben Stunde haben sie sich wundersam entfaltet und ich kleb sie mir in die Augen. Ich weiß nicht, welche bleibenden Verformungen nach der Verschrumpelung noch da sind oder welche Malchiner Keime nun in meinen Augen wohnen. Aber ich SEHE! Der Tach kann kommen. Und die Mugge auch.
Wir gehen zum Frühstück. Wie die pastellfarbenen Busse vor dem Hotel vermuten lassen ist der Altersdurchschnitt im Frühstücksraum sogar noch deutlich höher als der in der Band. Das Frühstück ist aber frisch und schmeckt gut. Der Frisör hat sein Ärzte-T-Shirt an. Wir mampfen. Auf einmal kommt eine reifere Dame verschmitzt an unseren Tisch gehuscht, umarmt den Frisör, und sagt: Jetzt muss ich aber mal fragen. Sind Sie nur Fans oder sind Sie wirklich Die Ärzte? Der Frisör antwortet natürlich wahrheitsgemäß: Nee nee, wir sinds wirklich! Die Frau ist sehr froh und geht zurück zu ihrem Tisch.
Der Frisör meint noch: Die erzählt jetzt zu Hause „Stellt euch vor, ich hab im Hotel Die Ärzte getroffen! Alle fünf!“
Der Jochen entscheidet sich, den Vormittag im Bett zu verbringen, weil er die ganze Woche ganz schlecht geschlafen hat. Im Lagerraum. Im Zwischenraum zwischen den Lebensmittel-Lagerregalen. Bei den surrenden Kühltruhen. Nachts nach der Schicht. Im Titty-Twister in Jena. Nach den Vorlesungen tagsüber. Jaja, fragt nicht. Ihr habt euch nicht verlesen. Im Strip-Lokal. Da kocht der Jochen die erlesensten Gerichte nach Vorlesungsschluss. DAS ist Rock’n’Roll!
Der Jochen schläft also und wir ziehen los in ganz großen Schritten und sehen nach was Stavenhagen zu bieten hat. Und hat es. Die Altstadt ist echt schön, niedliche alte Gäßchen und ein imposanter Markt. Alles sehr restauriert. Wir entdecken ein Schloss auf einem Hügel, der hoch bis in etwa reichlich Augenhöhe aus der Landschaft ragt. Die Einheimischen werden das wohl mangels Vergleich Berg nennen? (Jetzt seid nicht gleich eingeschnappt!) Ein Schloss muss man als eingebildeter Mitteleuropäer natürlich besichtigen. Im Schlosshof gibt es sogar Kinderspielzeug. Der F klemmt sich leichtsinnig auf eine Art Schleuderding und wird vom Frisör in Schwung gebracht (siehe Foto). Es leiert deutlich mehr als gewünscht. Man kann auch nicht absteigen bis es ausgeleiert ist. Danach ist der F sehr verleiert. Wieder so wie nach dem Bier gestern.
Ein Eingang ist beschriftet mit „Kämmerei“ (siehe Foto). Da zieht es uns hin, wir wollen uns mal alle kämmen lassen. Drinnen ist es aber anders als erwartet und wir finden eine schöne kleine Ausstellung über die Zeit der französischen Besetzung (Fotos dazu bei den Livebildern). Man kann sich eine aufgezeichnete Geschichte anhören. Die Napoleonischen Soldaten wurden damals zwangseinquartiert bei Familien. Und manchmal verstand sich die Tochter der Familie ganz gut mit dem schmucken Soldaten. Eine solche Tochter erzählt vom Tonband ihre Lebensgeschichte. Dagegen ist ein Leben als Selbstständiger in Ostdeutschland wie Kaffeekränzchen. Sehr interessant!
Nach dem Schloss wollen wir noch ein wenig durch die Stadt bummeln. Sooo viel Stadt ist da nicht, aber ein sehr schöner kleiner alter Stadtkern. Als wir über den Marktplatz laufen haben plötzlich alle außer ich Lust auf Eis. Ein kleines Eiskaffee lädt mit Außenbestuhlung zum Fläzen in der Sonne ein. Das machen wir. Es stellt sich heraus, daß dieses Café just heute neu eröffnet hat, weswegen wir jeder ein Glas Sekt gratis bekommen (siehe Foto). Was sind wir doch für Glückskinder. So lässt sich’s leben. In der Sonne, mit einem eiskalten Getränk in der Hand.
Der Herr Ober bittet uns noch, „Fritsches Eiscafé“ auf dem Motorradtreffen freundlich in einer Ansage zu erwähnen. Weiß nich ob das so gut ist.
Irgendwann müssen wir dann los zurück in Richtung Festgelände. Der Jochen wird geweckt und die Band setzt sich in Bewegung, durch Ebenen, Talsohlen und Flachländer und 30-Zonen bis zum Horizont. Heute soll die Hauptbühne unser sein. Wir peilen die Lage und stellen fest, daß wir quasi sogar gleich mit dem Aufbaun beginnen können. Es ist zwar erst sonniger Nachmittag, aber es kommt keine andere komplette Band vor uns, nur der Little Big Drummer. Neben der Hauptbühne wird Bungee-Jumping geboten. Im 10-Minuten Takt fliegt jemand abwärts auf die Bühne zu. Lässt sich schön zusehen. Nachdem wir beim kopschüttelnden Biermarkenwart neue Biermarken organisiert haben beginnen wir, unser Zeug zusammenzusuchen. Die Autos stehen noch so geparkt wie gestern abend. Wir packen aus und schleppen den Kram auf die Bühne. Beim Durchzählen stimmt irgendwas nicht. Es fehlt was. Jo. Es fehlt der Bass. Ja wie ja was. Gestern war er noch da, der F griff nicht ins Leere. Wasn da passiert! Wir suchen wir suchen. Wir suchen auf der Bühne von gestern, dahinter, überall. Nochmal in allen Autos. Vorsichtshalber macht der Jochen mit einer anderen Band, die auf dem Gelände bluest, klar, daß wir uns für die Mugge deren Bass borgen können Danke noch mal, Jungs! – Anm. vom F). Trotzdem ist das nicht so schön. War da ein Klauschwein am Werk? Wir versuchen den Abbau in der finsteren Nacht gestern zu rekonstruieren, aber keiner kann sich erinnern, den Bass getragen zu haben. Und alle schwören Stein und Bein, daß nix mehr auf der abgeräumten Bühne war, als wir Feierabend gemacht haben. Lange Stunden voller Trauer, Schmerz, Betroffenheit, auch Wut, Zweifel, Depressionen, Selbstmordgedanken, Appetitlosigkeit, Ausschlag, Durchfall, Schuppen, Durst. Wir versuchen, die Band zu finden, die gestern nach uns gespielt hat. Deren Fahrzeug steht noch auf dem Gelände, aber die Jungs sind nicht zu finden. Irgendwann findet Steffen einen, und sie sehen gemeinsam deren beladenen Anhänger durch. Und siehe da – da isser!! Es stellt sich heraus, daß der Abbau ebenso erfolgte wie bei uns, mit befreundeten Trägern noch dazu. Und die konnten nicht unterscheiden, welches auf der Bühne liegende Instrument wem gehört und haben alles mitgenommen.
Der F weiß nicht genau, ob er sich freuen oder ärgern soll. Er hatte sich schon überlegt, welchen tollen Bass er sich als nächstes wegen des Verlustes kauft. Daraus wird nun nichts.
So kommt es dazu, daß wir doch noch reibungslos auf der Hauptbühne spielen können. Naja – vielleicht nicht ganz. Das Wetter wird zusehends scheiser. Its gettin’ dark and fucking cold. Bittere Wolken ziehen herauf, schauerlich tönt der Erinyen Gesang. Einige Unverzagte sammeln sich vor der Bühne und wir beginnen. Auf dringendes nachdrückliches Anraten der Saitenbosse hab ich einen Set gesetzt, der vorrangig auf ältere bis ganz alte Stücke baut. Das soll keine direkte Beleidigung des Publikums sein, ist es aber wohl doch. Wir ackern und ackern und es ist schwer. So nach und nach versammeln sich mehr Leute vor der Bühne. Vereinzelt hat man dann doch den Eindruck, es macht den Malchinen Spaß. Wir spielen Thunderstruck. Pünktlich öffnen sich die Himmelsschleusen und es splatattert herab. Das mühsam gewonnene Publikum verteilt sich unter umliegende Bierwagen und Buden. Aber drei bis vier Reihen bleiben, ziehen Kaputzen auf, haben Schirme oder werden halt nass. Und nach 10 Minuten hört der Regen wieder auf. Wir holen den letzten Trumpf aus dem Ärmel und die Tschechenmädels auf die Bühne. Und wir machen den Highway To Hell zu Acht (fünf wir, drei Gastarbeiter). Was soll ich sagen. Das wars dann wohl. Das isses, was die Leute unter den Bierwagen hervorzieht. Nass ist dann auch egal. Endlich kommt auch Geschrei von unten vor der Bühne. Nagut! Noch einen. TNT. Geht noch abber (ab, abber, am abbesten)! (Nur ein rothaariges Mädel in der ersten Reihe irritiert mich. Die kuckt die ganze Zeit entweder missmutig auffe Bühne hoch oder erzählt irgendwas, vielleicht Backrezepte, mit ihrer Freundin. Oder sie lästern über die Band. Wahrscheinlich lästern sie über die Band. Hochgradig irritierend, wenn man sich die ganze Zeit vorstellt, was die wohl gerade lästern. Und dabei auch noch missmutig kucken.)
Wir halten unsere Spielzeit ein und beenden. Ja was das denn! Ein Gebrüll setzt ein! Man verlangt Zugaben (was wir nicht dürfen)! Plötzlich tauen die Damen und Herren auf! Tut uns aber leid, geht nich in dem Fall. Hättet ihr ma früher gebrüllt, hättmer schneller gespielt und mehr geschafft.
Runter von der Bühne im Affenzahn. Verzahnt mit dem Aufbau der Van Andern’s Band. Diesmal wird jedes Inventarstück peinlich genau gezählt und verstaut. Japperdu! Endlich Feierabend! Der Jochen will ins Bett und fährt ins Hotel. Wir beschließen, um noch auf dem Gelände ausbaumeln zu können, ein Taxi zu bestellen für den Nachhauseweg. Wir müssen ja noch zurück durch die Ebenen und Talsohlen. Und wir wollen ja jeder noch ein winziges Glas Bier trinken. Das eine oder andere.
Während wir ein bißchen zechen werden wir dann auch angesprochen zwecks völlig unberechtigter Kritik, oder Konversation, auch Lobpreis. Zum Beispiel von einem jungen Mann mit Freundin. Und siehe – das ist die missmutige Rothaarige aus der ersten Reihe. Ich befrage sie über ihre Miene. Sie reagiert erstaunt und bestürzt und erklärt, daß sie immer so kuckt. Und daß ihr das Konzert gefallen hätte. Ich hefte meine Augen mit hochgezogener Augenbraue für geraume Zeit auf sie und stelle fest, daß sie wirklich immer so kuckt. Naja, wollmers ma glaum. Die haben ja hier auch relativ viel schlechtes Wetter. Aber so kann man sich täuschen, scheint mir. Man darf sich wohl nicht so viel Gedanken über das Publikum machen.
Zum Taxi-Treffpunkt. Dort stehen bereits einige Fuhrunternehmen und buhlen um Fracht. Man könnte seine Seele dort recht preiswert abtransportieren lassen, spielte man Einen gegen den Anderen aus. Aber das ist nicht unsere Art. Wir haben bestellt und warten auf unseren Mann. Sonst würde der arme Kerl umsonst da hin fahren. Er kommt pünktlich, mit einem schönen Kleinbus. Wir sind ausgesprochen freundlich und höflich und unterhaltsam zu ihm. Der F nimmt vorne neben ihm Platz. Im Smalltalk versucht er, den Fahrpreis zu drücken. Der Fahrer bekommt einen eingehenden Anruf und nimmt ihn auf dem Mobiltelefon entgegen (again: don’t try this at home!). Ihm fehlt jetzt die rechte Hand für Fahrvorgänge. Also leiht ihm der F die Linke und übernimmt das Schalten, während der Taxifahrer kuppelt und telefoniert. Wir vereinbaren derweil einen geldwerten Satz für jeden Schaltvorgang, um dies gegen den Fahrpreis zu rechnen. Irgendwann sind wir soweit, daß wir was rauskriegen.
Tja – leider lässt sich der Taxifahrer darauf nicht ein, kassiert fast 50% unserer Gage, war aber lustig und verabschiedet sich in die Nacht. Und wir gehen ins Bett.
Die Nacht verläuft wie die andere. Es ist erst sehr lange dunkel und wird dann langsam hell. Was meine Person betrifft hab ich meine Augenlinsen zum zweiten Mal weggeschmissen und lasse sie nun wo sie sind. Und bin blind. Durch den Wind. Menschenskind. Aber einen Doppelaugenpilz riskiere ich nicht. Ich orientiere mich bei der Bewegung durch das Hotel am dummen Gequatsche meiner Kollegen. Beim Frühstücksbuffet hatte ich mir ungefähr gemerkt, was wo liegt. Es geht so. Wir verabschieden uns noch freundlich und dankbar von der netten Dame an der Hotel-Rezeptur. Der Frisör teilt ihr noch beiläufig mit, daß der Fernseher im Hinterhof liegt.
Der Jochen fährt uns zurück zum Veranstaltungsgelände, wo die übrigen Autos mit den Instrumenten stehen. Ich bin nun auf den Steffen angewiesen, der mich mit dem Volvo heimfährt. Es stellt sich heraus, daß über Nacht jemand hinter den Volvo geschissen hat. Was sind das nur für gewissenlose Menschen. Wir fahren von dannen und lassen all das hinter uns.
Ich muss nun aprupt aufhören, sonst wird das hier noch zu lang.